Ich bin ja immer etwas skeptisch, wenn es um touristische Vermarktungen der Filmbranche geht. Aber trotzdem hat es mich gereizt, das Filmset der The Hobbit Trilogie zu besuchen. Meine Einstellung war, dass ich das teure Eintrittsgeld vielleicht verschwendet hätte. Es war heute ein regnerischer und gewittriger Tag angesagt: Da wird eine zweistündige Tour durch das Filmset eigentlich recht gut passen, wenn das Wetter einigermassen mitspielt und nicht ganz so garstig ist.
Kurz vor Mittag war ich bei The Shire (dem Auenland), mitten auf dem Land, angekommen. Die Landschaft sah schon mal genau so aus, wie man es im Film gesehen hatte. Viele sehr grüne Hügel, ein paar Bäume, kleine Flussläufe und Tümpel. Und verstreut ein paar Schafe und Häuser.
Ich habe dann tatsächlich noch eine Tour 15 Minuten früher als gebucht erhalten. Die Touren gehen über den Mittag alle 10-15 Minuten los, die Gruppen sind mit etwa 10-15 Personen angenehm klein.
Aber um was geht es eigentlich?
Im Jahr 1998 suchte das Team der Location-Scouts von Sir Peter Jackson nach den legendären sanften Hügeln und sattgrünen Weiden von Hobbiton (auf deutsch Hobbingen). Auf ihrer Suche mit dem Helikopter fanden sie die Alexander Farm, einer gut 3km² grossen Schaffarm im Herzen des Waikato. Sie bemerkten die auffallende Ähnlichkeit der Gegend mit The Shire, wie es von JRR Tolkien beschrieben wurde und stellten schnell fest, dass die Hobbits ein Zuhause gefunden hatten. Die Landschaft mit ihren sanften, sehr grünen Hügeln, Bachläufen und kleinen Tümpeln sowie etwas Baumbestand ist tatsächlich schon fast surreal schön.
In einem bestimmten Teil der Farm thront eine prächtige Kiefer über einem nahe gelegenen kleinen See, der an einen aufsteigenden Hügel angrenzt. Die umliegenden Gebiete waren unberührt: Keine Stromleitungen, keine Gebäude und keine Strassen in Sicht. Dies bedeutete, dass Sir Peter Jackson das 20. Jahrhundert hinter sich lassen und die Fantasy-Welt von Middle Earth erschaffen konnte.
Im März 1999 begann das neunmonatige Projekt, die Ideen für Hobbiton in die Realität umzusetzen. Hilfe leistete die neuseeländische Armee, und bald waren 39 provisorische Hobbit-Löcher auf dem 30’000m² grossen Grundstück verteilt, welches für das Filmset verwendet wurde. Die ursprüngliche Eiche, welche Bag End überragen sollte, wurde gefällt und hierhin gebracht. Die Blätter wurden aus Taiwan importiert und jedes einzeln mit Draht am Baum befestigt. Die Mühle und die Doppelbogenbrücke wurden aus Gerüsten, Sperrholz und Polystyrene gebaut. Das Strohdach des Green Dragon Inn und The Mill wurde aus lokalem Stroh gebaut. Geheimhaltung war extrem wichtig: Die Produktionsfirma hat während des gesamten Aufbaus und der Dreharbeiten strenge Sicherheitsmassnahmen getroffen. Die Dreharbeiten begannen im Dezember 1999 und es dauerte ungefähr drei Monate, bis die Filmabschnitte über The Shire fertig war.
Nach einem ersten Versuch eines Rückbaus blieben jedoch 17 Fassaden aus rohem Sperrholz übrig. Diese Fassaden sollten jedoch als Katalysator dienen, welche Hobbiton in der Öffentlichkeit bekannt machten. Erste Führungen begannen schon im Jahr 2002.
2009 kehrte Sir Peter Jackson zurück, um die Hobbit-Trilogie zu drehen, und hinterliess das wunderschöne Filmset, welches man heute besuchen kann: 44 dauerhaft rekonstruierte Hobbitlöcher, genau wie in den Filmen. Für das neue Filmset wurden The Green Dragon Inn, The Mill und die Brücke auch aus dauerhaften Materialien gebaut. Der künstliche Baum wurde aus Stahl und Silikon neu aufgebaut. Die komplette Rekonstruktion dauerte zwei ganze Jahre.
Das Aufnehmen der Filmsequenzen für The Hobbit Trilogy startete im Oktober 2011 und benötigte nur 12 Tage. Auf dem Höhepunkt waren 400 Leute vor Ort, natürlich inklusive Sir Peter Jackson, Sir Ian McKellen (Gandalf), Elijah Wood (Frodo), Sean Astin (Sam), Ian Holm (Bilbo Baggins) und Martin Freeman (der junge Bilbo Baggins).
Die inoffizielle Geschichte besagt, dass der Pilot der Location Scouts 1998 den Hubschrauber gelandet hat und das Team danach zum Bauernhaus gegangen ist, um sich zu erkundigen, ob das Land möglicherweise für einen Film verwendet werden könne. Mr. Alexander informierte die Scout jedoch, dass gerade Rugby laufe, und bat sie, doch bitte später wiederzukommen. Das haben sie dann ja wohl getan, denn Herr Alexander und Sir Jackson begrüssen und verabschieden uns ganz nett aus ihren Lehnstühlen in den Filmen, die während den beiden Busfahrten laufen.
Auf der kurzen Fahrt im Bus sieht man fast in Echtzeit in einem Film, wo die Filmcrew ihr Lager hatte und was für ein Aufwand nur schon an der Essensausgabe getrieben werden muss, um so ein Projekt realisieren zu können.
Es ist unglaublich, mit wie viel Liebe zum Detail gearbeitet wurde. Und die Landschaftsgärtner haben ein kleines Blumen-, Sträucher- und Gemüsewunder geschaffen. Der Übergang von echten Pflanzen zu unechten Utensilien ist fast nicht auszumachen. Aus den Kaminen quillt Rauch, sodass man jederzeit erwartet, dass einem ein Hobbit erscheint. Einige Gärtner sind auch jetzt unterwegs, um die gigantischen Blumen- und Pflanzenpracht zu pflegen. Man kann es kaum fassen und kommt aus dem Staunen nicht mehr heraus.
Und hier stehen fast die einzigen strohgedeckten Häuser von Neuseeland!
Anekdoten von den zu laut quakenden Fröschen (viele kennen meine Geschichten über die sehr laute Froschsaison) oder dem Traktor im Bildhintergrund, der wohl sogar im Film zu sehen ist sowie der brennenden Geburtstagstorte (Styropor und 101 Kerzen…) sind lustige Details, welche den Filmdreh etwas näher bringen. Auch der Baum zuoberst auf den Hügeln musste für den zweiten Dreh nochmal komplett künstlich neu aufgebaut werden, damit alles passte. Dass der Baum nicht echt ist, sieht man erst ganz aus der Nähe.
Die Flechten auf dem Holz sind künstlich appliziert: Die ersten Version hatten die Vögel weggepickt bis man dann eine akzeptable Lösung gefunden hatte. Und das Glas der Fenster wurde extra so hergestellt, dass es alt aussieht.
Spannend ist auch, dass die Häuser und Requisiten (wie z.B. die Wäscheleinen und deren Wäsche, die wohl jeden Abend abgenommen wird) in verschiedenen Grössen gebaut wurden, damit die verschieden grossen Schauspieler in der richtigen Grössenrelation gefilmt werden könnten oder die Perspektive besser zur Geltung kommt.
Nein, hier ist nicht die abgebildete Person wegen des Regens so schnell gewachsen!
Im Jahr 2012 wurde der Green Dragon Inn als Abschluss der Tour durch Hobbiton eröffnet. Auch wir beendeten unser Hobbiton Movie Set-Erlebnis mit einem Getränk aus der Hobbit Southfarthing-Reihe. Es wird alles vermarktet. In dieser Kneipe, die wohl als eines der wenigen Häuser nicht nur Fassade ist, sondern auch ein faszinierendes und nutzbares Inneres enthält, kann man auf den letzten 20 Minuten seinen Gratis-Drink einnehmen und einen kleinen Snack bestellen. Auch die Kneipe ist wunderbar detailverliebt gestaltet. Sogar der Aussenlautsprecher (2-Wege, mit irischer Musik) ist kaum auffindbar in einem künstlichen Stein versteckt…
Wir hatten auf unserer Tour Glück, dass es nicht immer und nicht so fest geregnet hat. Die Tourgruppen sind angenehm klein, sodass man den gut einstündigen Gang durch Hobbiton richtig geniessen kann.
Auf der Rückfahrt im Bus haben wir noch die nationale Schweigeminute für die Opfer und die Angehörigen des Unglücks von White Island mitgemacht. Es ist doch toll, dass man in all dem geschäftigen Treiben in der Vermarktung der Hobbits auch solch einen Moment der Stille und des Innehaltens zulässt.
Den Souvenir-Shop habe ich nicht mehr besucht, da ich meinen guten Eindruck nicht zuletzt doch noch trüben wollte.
Jeden Tag besuchen 1’000 bis 3’000 Leute Hobbiton. Da heute Gewitter und Regen angesagt waren, konnten wir von einer niedrigeren Besucherzahlen profitieren. Ein Erwachsenen-Ticket kostet aud 84. Im Nachhinein muss ich zugeben, dass das gut investiertes Geld war.