Nachdem ich mich gestern entschieden hatte, einen zusätzlichen Tag in Schären des Bohuslän zu verbringen, gab es noch weniger Argumente, die fantastischen Felsritzungen bei Tanum nochmals zu besuchen.
Überall auf der Erde haben Menschen auf Felsplatten und in Höhlen Zeichnungen und Ritzungen hinterlassen. Hier in Tanum haben Menschen der Bronzezeit Tausende von Bildern in die durch die Gletscher der letzten Eiszeit abgeschliffenen, flachen Felsplatten der schwedischen Westküste geritzt. Dieser prähistorische Bilderschatz ist so inhaltsreich und einzigartig, dass er von der UNESCO seit 1994, als fünfte Schwedens, als Welterbestätte geführt wird.
So lautet dafür die Begründung des Welterbekommittees:
Die Felszeichnungen in Tanum sind einzigartiges Beispiel der Kunst des Bronzezeitalters und von höchster Qualität. Die Vielfalt der Motive vermittelt ein einzigartiges Beispiel vom Leben des europäischen Bronzezeitalters. Das Zusammenspiel der festen Besiedlung der Region mit Nutzung des Bodens spiegelt sich ebenso in den Felszeichnungen wie die Grabfelder und die Landschaft, was die Region um Tanum herum zu einem einzigartigen Beispiel 8000jähriger kontinuierlicher Besiedlung durch den Menschen werden lässt.
Durch die Aufnahme der Region um Tanum in die Welterbeliste der UNESCO ist dieser Ort auch für uns alle als WeltbürgerInnen und Mitmenschen von grossem Wert.
Im Bereich der Welterbestätte finden sich gemäss untenstehender Grafik (der Pin rechts oben steckt in Vitlycke) ungefähr 600 Fundstellen mit Felszeichnungen, die zusammen Zehntausende von Bildern umfassen.
Dabei muss man auch beachten, dass der Meeresspiegel in der Bronzezeit deutlich höher lag. Das liegt auch daran, dass sich die Landmasse infolge der Entlastung durch weggeschmolzene Eis der letzten Eiszeit immer noch hebt. Viele der nun weit im Inland liegenden Felszeichnungen lagen damals wohl nahe an der Küste.
Vier Orte sind mit Parkplätzen, Fußwegen und Schildern bestens erschlossen: Vitlycke, Aspeberget, Litsleby (für RollstuhlfahrerInnen zugänglich) und Fossum.
Ich habe mir als erstes die Felsritzungen ins Fossum angeschaut. Der grösste Stein wurde gerade gereinigt und der Bohlenweg repariert. Natürlich muss man immer im Blick behalten, dass die Felsritzungen in unserer Zeit rot ausgemalt wurden. Man weiss nicht, ob es in der Bronzezeit auch eine Bemalung hab, oder ob nur das über den Stein fliessende Wasser eine bestimmte Wirkung (siehe untenstehender Text) hatte.
Bilder im Wasser
Wasser scheint für prähistorische Völker nicht nur zum Überleben und Transport, sondern auch aus anderen Gründen wichtig gewesen zu sein. Viele der schönsten Funde aus der Bronzezeit wurden in Feuchtgebieten und ausgetrockneten Seen ausgegraben, darunter Bronzeköder, Schilde und Waffen. .
Die Felszeichnungen befinden sich häufig auch in der Nähe von Feuchtgebieten oder Quellen. Aus diesem Grund läuft Wasser oft über die Tafeln – vielleicht wurden die Bilder in Wasser geschnitzt, um die Kommunikation mit den Göttern zu erleichtern, so wie Menschen ihre wertvollsten Besitztümer in Mooren oder flachen Bächen opferten. Es gibt andere Erklärungen, die aus praktischer Sicht eine Erklärung bieten: Experimente haben gezeigt, dass es einfacher und schneller geht, Bilder in den Fels ritzen, wenn Wasser über den Fels läuft. Auch stechen die Bilder mehr hervor wenn der Stein nass ist.
Und als zusätzlichen Bonus macht es das auch für uns heute einfacher, die Felszeichnungen zu finden, da man weiss, wo man suchen muss – auf den nassen Felswänden.
Oftmals sind Bilder von Schiffen entlang des fließenden Wassers eingraviert – Beispiele sind auf den Steinen in Tanum zu finden.
Untenstehend links der gereinigte und bemalte Felsen und rechts ein unbemalter Felsen, den (wenn es funktioniert hätte und es nicht taghell gewesen wäre) ein Licht flacht angestrahlt hätte.
Als nächstes (und für dieses Mal letztes) besuchte ich die Felsritzungen in Vitlycke. Dort befindet sich auch das interessante Museum mit einem rekonstruierten Bronzeithof, einer Ausstellung, einem Rock Art Shop sowie einem Café.
Es gibt hier rund 700 in den Fels gehauene Einzelbilder aus der gesamten Zeit, in der in Bohuslän Felszeichnungen angefertigt wurden, zwischen 2000 und 200 v. Chr. Neben der Vitlycke-Tafel gibt es vier kleinere Tafeln, die durch einen etwa 500 Meter langen Weg verbunden sind. Auf dem Gipfel des Berges oberhalb der Vitlycke-Tafel befinden sich zwei Steinhaufen aus der frühen Bronzezeit mit einem herrlichen Blick über die Tanum-Ebene und das Weltkulturerbe.
Auf dem Weg antlang der Bildergallerie stellt sich natürlich die Frage, ob ein Schiff nun ein Schiff ist oder doch nicht? Das wurde die letzten zwei Jahrhunderte ganz verschieden interpretiert (siehe untenstehender Text und dazugehörendes Bild der Interpretationsvarianten).
Ist das Schiff ein Schiff?
Das Schwierige an Felszeichnungen ist normalerweise nicht herauszufinden, was sie darstellen, sondern was sie bedeuten. Was veranlasste einen Menschen vor 3.000 Jahren, sich an diese Felswand zu setzen und die Bilder zu meißeln, die wir noch heute in den Fels sehen können? Auch die Interpretation antiker Felszeichnungen hat sich seit dem frühen 19. Jahrhundert, als die archäologische Forschung ernsthaft begann, erheblich verändert.
Schiffe dürften das Motiv sein, dessen Bedeutung sich am häufigsten verändert hat. Wenn Sie Alex Emanuel Holmberg Mitte des 19. Jahrhunderts getroffen hätten, hätte er Ihnen erzählt, dass die Besatzungen auf den Schiffen Wikinger waren, „die Eingeborene bei ihrer friedlichen Arbeit überfallen und töten und ihr Eigentum plündern“.
Oscar Almgren, einer der bedeutendsten Archäologen Schwedens im frühen 20. Jahrhundert, glaubte, dass es sich bei den Bildern nicht um echte Schiffe handelte, sondern um Karnevalsschiffe, die über die Felder getragen wurden, um eine gute Ernte einzufahren. Eine andere Interpretation besagt, dass die Schiffe im Zusammenhang mit Bestattungen geschnitzt wurden, um den Verstorbenen ein Transportmittel in das Totenreich zu bieten. In prähistorischen Zeiten wurden Schiffe als Särge verwendet, und Grabstätten wurden manchmal aus großen Steinen gebaut, die in einer schiffsähnlichen Formation angeordnet waren. Warum also nicht?
Die gängigste Interpretation in den frühen 2000er Jahren ist, dass die Schiffe auf den Tafeln echte Schiffe darstellen. Die Bronzezeit war eine Zeit vieler Reisen und intensiven Handels, und in einer solchen Gesellschaft war das Schiff als Transportmittel sehr wichtig.
Das erste Bild in der untenstehenden Gallerie zeigt das bekannteste Schiffsmotiv: Die drei nahe beieinander liegende Schiffe sind seit 2015 auf dem schwedischen 50-Kronen-Schein abgebildet. Das oberste Schiff weist die meisten Details auf: Die Besatzung ist klar dargestellt, nicht nur in kurzen Strichen, wie es sonst der Fall ist. Die Leute an Bord halten Paddel, eine Axt und eine Lure (Trompete aus der Bronzezeit).
Durch den Vergleich der Form des Schiffes mit Bildern von Schiffen, die auf Bronzeobjekten geschnitzt sind, ist es möglich, das Alter der Felszeichnungen zu bestimmen – die Idee dahinter ist, dass eine ähnliche Form ein ähnliches Alter bedeutet. Anhand des Aussehens des obersten Schiffs kann man schätzen, dass es aus der mittleren Bronzezeit, etwa 1000 v. Chr., stammt. Das Schiff direkt darunter ist viel älter und stammt aus der frühen Bronzezeit, etwa 1500 v. Chr. Auch wenn die Schiffe zusammenzugehören scheinen, wurden sie nicht gleichzeitig geschnitzt.
Die zweite Person von links in der Crew hält einen gebogenen Gegenstand an den Mund. Es handelt sich um eine Lure aus Bronze, eines der wenigen erhaltenen Musikinstrumente aus prähistorischer Zeit. Bisher wurden 60 Luren aus der Bronzezeit gefunden, die meisten davon in Dänemark, aber 13 davon in Schweden. In den Felszeichnungen, wie auch in archäologischen Funden, sind die Luren oft paarweise zu sehen.
Neben den Schiffen haben die Menschen auf den Bildern interessante Merkmale. Die Schrifttafeln (siehe untenstehender Text) erklären das wahrscheinliche Menschenbild in der Bronzezeit und die vermuteten Merkmale der Zeichnungen – auch Frauen hat es auf den Bildern nur sehr wenige.
Die Menschen auf den Tafeln
Unter den Darstellungen auf den Felsschnitztafeln sind die Darstellungen von Menschen vielleicht am vielfältigsten. Die Schnitzereien in Vitlycke und Tanum sind voll von Menschen, die in Schiffen und Streitwagen reisen, kämpfen und Sex haben, den Boden pflügen, jagen, tanzen und Purzelbäume schlagen. Das häufigste Personenbild auf den Tafeln sind die kurzen und anonymen Zeilen, die die Besatzungen auf Booten zeigen.
Der Kontrast zur Konzentration auf das Individuum unserer Zeit, in der es entscheidend ist, aufzufallen und gesehen zu werden, ist frappierend. Auch bei den Menschen in den Felszeichnungen kann es sich um unverwechselbare Individuen handeln, sie sind jedoch durch andere Merkmale als Gesichtszüge unterscheidbar. Dies können die Waffen sein, die sie tragen, oder die Form ihres Körpers – sie können dicke Waden, lange Arme, riesige Hände und Schnäbel anstelle von Nasen haben. Das Wissen darüber, was diese verschiedenen Attribute darstellen, ermöglicht es uns, verschiedene Personen und die Rollen, die sie hatten, zu identifizieren. Dies sind Dinge, von denen die Menschen der Bronzezeit sicherlich wussten, über die wir aber noch lernen.
Die Verteilung zwischen den Geschlechtern erscheint einseitig, was damit zusammenhängt, dass die Männer gut zu erkennen sind, während die Frauen nicht so auffällig sind. Bilder von Menschen mit Penissen und Waffen werden üblicherweise als Männer betrachtet; Frauen erkennt man an ihren langen Haaren. Besuchen Sie das Fossum-Panel, wenn Sie mehr darüber erfahren möchten, wie das Geschlecht der Figuren bestimmt wird. Hier bei Vitlycke gibt es zwei Frauen: die trauernde Witwe und die eine Hälfte des Brautpaares.
Mit dem Auffrischen der Eindrücke beim Betrachten der Bilder und dem Lesen der begleitenden Texttafeln war ich bereit, in den kommenden fünf Tagen die fantastische Landschaft mit rundgeschliffenen Granitfelsen sowie die malerischen Fischerdörfer auf den Schären des Bohuslän zu erkunden.













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